1 Uhr morgens: Warten auf die U-Bahn

Eine Zigarette lag zerquetscht auf dem Bahnsteig, eindimensional, ihr Leben ausgehaucht und daher nicht länger interessant. Etwas weiter weg lag ein weiterer Zigarettenstummel, ebenfalls unbeachtet von den wenigen Menschen, die auf dem Bahnsteig warteten.

Der Bahnsteig selber war ein trostloses dunkles Grau, eine Farbe, die wohl deshalb verwendet wurde, weil sie immer gleich aussah, ob dreckig oder sauber. Nur wenige, leicht dramatische Dreckstellen unterbrachen die Öde dieses Graus. Dort war wohl ein Getränk ausgerutscht - eine eher klebrig aussehende Stelle von einem noch dunklerem Grau. Sie wurde auch dadurch gekennzeichnet, daß von ihr kleine, wohl mal mit Flüssigkeit angetriebene Bächlein ausliefen, die sich langsam oder auch abrupt im änderlosen Grau verloren. Hier und da lag noch Müll - ein Zeitungsblatt, das zwar zeitweilig mit dem Wind zu tanzen versuchte, dem es aber nicht gelingen würde, von diesem Bahnsteig auf eigener oder des Windes Kraft zu entkommen. Ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch lag träge auf der grauen Fläche, das einzig dreidimensionale, abgesehen von den langsam und auch etwas grau gewordenen Menschen.

Die U-Bahn hatte Verspätung, doch die wenigsten von den nächtlichen Reisenden versuchten, in dieser Wüste sich etwas die Zeit zu vertreiben. Die meisten saßen stumm, Blicke gegen die Wände, die Werbeplakate (Test the West! Kaufhof - 9X in Berlin!), oder auch den Boden gerichtet - bloß niemanden anschauen. Bloß nicht bemerkt werden. Nicht auffallen, so hieß das Gebot.

Denn es fielen schon genügend Leute auf, um diese Zeit; die, die nun versuchten, die letzte Bahn zu erwischen, um endlich nach Hause oder zur nächsten Party zu gelangen. Oder die alten Männer, die schon jahrelang zu viel getrunken hatten, und nun ihren Schutz und ihre Geborgenheit auf den plastiküberzogenen Bänken der U-Bahn suchten. Diese Männer mied man, es setzte sich niemand auf die Bänke, auf denen sie warteten, leise mit sich selber redend, kaum flüsternd und dann plötzlich doch lauter, so das man sich dennoch, falls man so unvorsichtig war und sich in ihrer Nähe aufhielt, angesprochen fühlte.

Ein anderer alter Mann ging vorbei. Keiner von denen, die immer die Bank für sich hatten, doch wirkte er auch irgendwie [worn out] ausgedient. Seine Hosen und Schuhe hatten keine Löcher, dennoch sah er nicht gepflegt, nicht poliert aus. An den Falten der Hosen hinter seinen Knien sah man, daß er seine Hosen nicht bügelte, und man fragte sich, ob der Mann in wenigen Jahren auch so herabgekommen wirken würde wie die Männer auf den Bänken, weil er jetzt schon niemanden hatte, für den er seine Hosen hätte glätten wollen.

Doch die Blicke der Menschen gingen weiter aneinander vorbei, glitten immer wieder weg von den Wänden und Plakaten, um in das schwarze Loch, von dem sie hofften, daß es ihnen ihre Bahn bescheren würde, zu blicken. Die herbeigewünschte Bahn ließ auf sich warten, die Menschen spielten ihre Spiele, ja-nichts-bemerken, bloß-keine-Aufsicht-erregen, unentwegt und ad absurdum weiter. Der schnelle Abschied hatte sich verzögert, die Unterhaltung, die lange schon zu Ende war, hing immer noch in der Luft, und man konnte sich nicht fortbewegen. Und man tat schließlich so, als ob dieses alles nicht war. Das Warten wurde immer länger, doch die Stille blieb immer dieselbe.

Endlich, mit dem Rauschen der Luft aus den stillen Gängen der Untergrund, kam der Zug. Wenige stiegen aus, die Wartenden stiegen ein und bereiteten sich auf das nächste Warten vor, in diesem kleinen, abgeschlossenem Wagen, wo sie dennoch nichts bemerken würden. Die Türen schlossen schnell, immer zu schnell, und der Zug fuhr unerläßlich weiter. Auf dem dunkelgrauen, trostlosen Bahnsteig lag immer noch die zerdrückte Zigarette.

Am Ende die U-Bahn

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